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(Epitaph für Hans Gienger, 1468)

Die Darstellung des gepeinigten Christus, der nach Joh. 19,4-5 von Pilatus dem Volk vorgeführt wird, hat sich erst seit dem 15. Jahrhundert als einzelnes Andachtsbild entwickelt. Herlin bettet die Szene in eine 2-geschossige, asymmetrische Architekturkulisse ein. Im oberen Stockwerk beseitigen die Folterknechte gerade die überreste ihres blutigen Handwerks. Pilatus führt Christus gerade aus dem Folterraum auf den angrenzenden Balkon und präsentiert den gepeinigten Gottessohn dem Volk, um dessen Sterblichkeit zu demonstrieren. Die Worte "Ecce homo" auf der Balustrade unterstreichen den Vorgang. Christus, gefesselt mit Dornenkrone und Purpurmantel, ist auf die Bildmittelachse plaziert, was durch die asymmetrische Architektur geschickt verschleiert wird. Das untere Geschoss füllt eine gestikulierende und "crucifige" (Kreuzige ihn!) schreiende Menschenansammlung, die durch Schriftzeichen auf den Rocksäumen als jüdisch gekennzeichnet ist. Im linken Bilddrittel kniet betend der Stifter Hans Gienger. Seine Kopfbedeckung hat er ehrfürchtig abgesetzt. Er trägt einen langen schwarzen Mantel und die für die Zeit gebräuchlichen Holzschuhe, sogenannte "Trippen". Der Stifter ist durch eine Mauer vom Geschehen abgetrennt, an deren Schmalseite das Wappen des Stifters hängt.
Für die hinter der Mauer, vom heiligen Geschehen abgesetzte Platzierung des Stifters, könnte Herlin von der Mitteltafel des Columba-Altares angeregt worden sein. Die zweigeschossige Architekturkulisse, mit dem Blick in die Folterkammer und der Christus und Pilatus-Gruppe auf dem Balkon zeigt auch ein Stich des Meisters von 1477 (Kupferstichkabinett Berlin).
Hans Gienger war einer der erfolgreichsten Kaufleute Ulms und der reichste Bürger der Stadt. Für seine Handelsgesellschaft lässt sich der Verkauf von "lampartischen Gewand" und "Schellentuch" nachweisen, das er aus Norditalien bezog. In den Jahren 1445, 1446, 1461, 1467 und 1468 war Hans Gienger nachweislich auf der Nördlinger Pfingstmesse vertreten. 1445 und 46 mietete er sogar jeweils einen Doppelstand, dessen Einrichtung nur größeren Kaufmannsunternehmen vorbehalten war. Für Nördlingen war Gienger ein wichtiger Mann, da er dem Rat der Stadt Kredite verlieh und umgekehrt Geld für die Stadt in Verwahrung nahm.

Vermutlich nahm er den Tod seiner dritten Frau Anna zum Anlass, um der Frömmigkeit der Zeit und seinen außerordentlichen finanziellen Möglichkeiten entsprechend, 1467 einen Altar mit der hl. Dreifaltigkeit sowie den Heiligen Maria, Johannes, Jakobus, Anna und Elisabeth und eine ewige Messe ins Ulmer Münster zu stiften.
Zwar befand sich das Wappen der Familie Gienger im Ulmer Münster, doch ist weder für diese Kaufmannsfamilie noch für andere Ulmer Kaufleute ein mit Namen und Stifterporträt gestaltetes Altarblatt nachweisbar. Offenbar war dieses Recht in Ulm allein Patriziern vorbehalten. Da das gleiche auch hinsichtlich der Aufhängung von Totenschilden galt, waren die Repräsentationsmöglichkeiten für nicht adelige Bürger im Ulmer Münster begrenzt. Generell war es jedoch nicht ungewöhnlich, dass ein Kaufmann oder eine Familie Stiftungen für mehrere Kirchen oder Klöster leisteten, zu denen sie einen besonderen Bezug hatten. So nutzte Hans Gienger offensichtlich die Möglichkeit, sich in der Nördlinger Georgskirche in frommer Gesinnung verewigen zu lassen - ein Recht, das er als Kaufmann in Ulm nicht hatte. Möglicherweise war es für die Messestadt Nördlingen auch eine Ehre, dass einer der renommiertesten Kaufleute Ulms auf einem Andachtsbild in der Stadtkirche vergegenwärtigt war.

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